Eine ansehnliche Zahl von Gästen hatte sich letzten Donnerstag in der Bücherei eingefunden. Geboten war die nun schon traditionelle Lesung im Herbst, diesmal mit dem Thema „Leben in der DDR“. Frau Sieber freute sich, dazu zeitnah zum Tag der Deutschen Einheit Frau Edith Schieck aus Abensberg begrüßen zu dürfen. Eigentlich ist Abensberg die Wahlheimat von Familie Schieck – sie stammt nämlich aus der ehemaligen DDR, genauer gesagt aus Thum im Erzgebirge.
Frau Schieck hat ihr Buch „Und das Gras war grüner“ betitelt, eine Erfahrung, die ihren allerersten Eindruck vom Westen wiedergibt. Darin schildert sie das Alltagsleben in der DDR und den zermürbenden Kampf der Familie um die Ausreise.
Frau Schieck las ausgewählte Abschnitte und dazwischen schilderte sie immer wieder unaufgeregt, aber eindrücklich ihre ganz persönlichen Erlebnisse vom Leben in der DDR. Gebannt und bestürzt erfuhren die Zuhörer vom Leben in einer unglaublichen Mangelwirtschaft, in der viele für uns im Westen selbstverständliche Waren einfach nicht erhältlich waren. Es gab z.B. im ganzen Land in allen Geschäften nur die gleiche Kinderkleidung in den gleichen Macharten und Farben zu kaufen. Nur wenige Autotypen waren überhaupt erhältlich, das Auto musste vorbestellt werden und die Auslieferung erfolgte nach 10 Jahren. Trotzdem durfte man nicht sofort wieder auf den gleichen Namen einen Neuwagen bestellen … Ein Telefon zu bekommen glich einem Sechser im Lotto und wer bei Bekannten telefonierte lief Gefahr, dort von einem Informanten der Stasi belauscht zu werden. Wahlen waren eine einzige Farce und bei jeder Kleinigkeit, die man auf Ämtern zu erledigen hatte, war man Unfreundlichkeit und Schikanen ausgesetzt.
So entstand der immer dringendere Wunsch nach Freiheit. Im Urlaub machten die Schiecks zudem die eine oder andere Bekanntschaft mit Westdeutschen und lernten „unglaubliche“ Dinge kennen, wie gleichfarbige Koffersets oder eine Klimaanlage im Auto. Zaghaft keimten erste Ideen, wie eine Ausreise zu bewerkstelligen sei. Frau Schieck verfolgte sie mit der ihr eigenen Zielstrebigkeit, sorgfältig mögliche Komplikationen vorab bedenkend.
Als die Familie 1984 nach 14 Ausreiseanträgen endlich im Westen ankam, war das Gras dort tatsächlich grüner, so wie ein Bekannter es ihr einst geschildert hatte. Frau Schieck wusste auch das zu erklären: „Bei uns ist ja alles verfeuert worden, was in den Ofen passte.“
Passend zur Bundestagswahl vor zwei Wochen mahnte sie aus ihrer persönlichen Erfahrung: „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.“
Frau Sieber bedankte sich bei Frau Schieck für ihren informativen und engagierten Vortrag mit einem Blumenstrauß und hatte für die Gäste noch ein echtes „Schmankerl“ parat: Die Mitarbeiterinnen hatten ein kleines Büffet angerichtet mit original ostdeutschen Spezialitäten, vom Speckbrot über „Kalten Hund“ und „Eierschecke“ bis zum selbst gemachten Eierlikör. So klang der Abend beim Imbiss gemütlich mit dem regen Austausch von Erinnerungen an die Zeit vor der Wende aus.